Großonkel Waldemar, ein
gestandener Zigarrenfabrikant von 60 Jahren und Selfmade-Millionär
der ersten Stunde, versammelte die weit verstreute Sippschaft in
einem eigens angemieteten Chalet zu Füßen des Kaiserstuhls, um
gemeinsam mit den zu ihm aufblickenden, seiner väterlichen Gunst
und Milde unterworfenen Nachkommen das Anbrechen eines weiteren
Lebensjahrzehnts zu feiern (von dem er fest vorhatte, dass es noch
lange nicht sein letztes sein sollte). Seiner Stellung an der
Spitze der familiären Hierarchie gemäß plante der Jubilar, ein
opulentes Fest zu geben, welches seinem persönlichen Gewicht und
dem Segen seines herausragenden Lebenswerkes, von dem seine Kinder
und Kindeskinder mit in seinen Augen viel zu selten gezeigter
Dankbarkeit zehrten, angemessen wäre. Auf Seiten der Geladenen
beging man denn jenes Fest mit allseits gemischten Erwartungen.
Waldemar, der Patriarch, thronte über allem, flankiert von seiner
Gattin, Großtante Charlotte.
Doch nicht nur seine
Nachkommen und Verwandten, Freunde, Geschäftspartner und diverse
Honoratioren ließ er bitten, auch der eine oder andere arme Tropf
aus Waldemars ferner Vergangenheit durfte an dem Kulissenspiel
teilhaben. Sollten seine verbliebenen Brüder, Cousins und
Jugendfreunde, die ihn damals auf dem alten Hof seiner Eltern immer
gehänselt und verspottet hatten, doch auch an diesem runden
Geburtstag erleben müssen, was er, der Prügelknabe aus Kindertagen,
aus sich und seinem Leben gemacht hatte. Waldemar liebte diese
kleine Genugtuung und sie bedeutete ihm beinahe mehr als die Freude
angesichts seines langen, erfüllten Daseins. Waldemar liebte es
auch, seine Kinder, welche er allesamt für missraten hielt, durch
kleine Spielchen und Fragereien vorzuführen.
"Sind wir etwa die
Letzten?", fragte ihn seine Tochter Dorothee, welche esoterische
Neigungen verspürte und sich aus Aufmüpfigkeit gegenüber ihrem
Vater jahrelang als talentlose Nachwuchsschauspielerin und zuletzt
als Aquarellmalerin versucht hatte, als sie mit ihrem dem Cognac
verfallenen Mann Rolf (2. Ehe) in der Tat als letzte eintraf und
mitten in die Ansprache Waldemars vor versammelten Gästen
hineinplatzte.
"Huch, wie viele Leute
hast Du denn diesmal wieder eingeladen, Papa?", brachte sie
erstaunt hervor, als sie sich in der Runde
umschaute.
"Nun, meine liebe
Dorothee, es freut mich, dass auch Du den Weg zur Feier Deines
Vaters gefunden hast", entgegnete Waldemar, "Wie viele Leute es
sind, die allesamt vor Dir die Höflichkeit aufgebracht haben, mir
zu gratulieren, das kannst Du Dir leicht selbst zusammenreimen.
Denk an irgendeine Zahl mit zwei Stellen. Diese schreibst Du nun
hintereinander, und zwar dreimal, so dass eine sechsstellige Zahl
herauskommt. Die so entstehende Zahl kannst Du dann immer ohne Rest
durch die Anzahl der anwesenden Gäste teilen. Ich verrate Dir, mein
Kind, dass mehr als 260, aber weniger als 480 Leute anwesend sind.
Nun, zu wievielt sind wir, liebe Dorothee?"
(Die Anzahl der Gäste sei A.)
Theo, Waldemars
gewitzter Urenkel, hatte die ganze Szene aus sicherer Entfernung
beobachtet. Dorothee bestand den Test natürlich nicht und trollte
sich alsbald, um ihrem Vater bei der Forsetzung seiner Rede mit
erzwungener Andächtigkeit zu lauschen. Neben Theo stand Roger, der
verfressene Spross von Waldemars jüngstem Sohn Friedemann. Roger
schwärmte bereits von den kulinarischen Genüssen, welche er für
sich erhoffte. Einen anderen Zweck sah er in dieser Reise an den
Kaiserstuhl nicht, hatte er doch zum Großvater im Grunde gar keinen
Bezug. Nicht so Theo, welcher Waldemar bewunderte und ihn in
möglichst vielen Belangen zu imitieren versuchte. "Sag mal, Theo,
wann darf hier eigentlich endlich mal gegessen werden? Ich war
schon dreimal vor dem Buffet, aber die lassen mich nicht ran. Da
verhungert man ja. Mich würde echt mal interessieren, wann es hier
was zu futtern gibt."
"Futtern können wirst
Du schon noch genug, Roger", meinte Theo, "Schau mal, da vorne
liegt der Leistungskatalog des Catering-Service. Das ist von der
Dicke her ein richtiges Buch, ganz nach Deiner
Vorstellung."
Roger schien die Spitze
nicht zu bemerken. "Echt? Wahnsinn! Wie dick ist das
denn?!"
"Nun, Roger, es waren
genau viermal so viele Ziffern für die Seitennummerierung
notwendig, wie die Karte Seiten hat, scheint mir."
Roger blickte ihn
verwirrt an, aber der Gedanke an die ganzen Köstlichkeiten, die ihn
erwarteten, fesselte ihn so sehr, dass er sich außer Stande sah,
Theos Worten weitere Aufmerksamkeit zu widmen. Ohne weitere
Reaktion griff er sich den Katalog, während im Hintergrund der
Applaus angesichts der schließlich an ihrem erhofften Ende
angelangten Rede Waldemars zu vernehmen war. Alsbald wurden Rogers
Gebete erhört und das Buffet war eröffnet.
(Die Seitenzahl des Katalogs sei B.)
Waldemar hatte eine
besondere Schwäche für süße Nachspeisen und Kuchen (auch wenn dies
sicherlich nicht als alleinige Ursache für die Fülle seines Leibes
anzusehen ist). So bestand er darauf, dass auch an diesem
Geburtstag eine bombastisch bemessene Donauwelle - mit ausreichend
Schokolade und Pudding, versteht sich - auf dem überlangen Buffet
ihren Platz fand. Diese Donauwelle sollte nach Waldemars
Vorstellung aber nicht nur durch ihre bloße Dimension
hervorstechen, nein, sie sollte auch folgende, höchst merkwürdige
Eigenschaft besitzen, wobei Donauwellen-Stücke bei Tante Charlotte
immer säuberlich quadratisch und allesamt gleich groß waren. Wenn
man die Donauwelle komplett in solche Stücke zerschnitt, die Stücke
aus der Form nahm und irgendwie auf einen Haufen legte und dann den
Haufen auf ansonsten beliebige Weise in zwei Gruppen aufteilte, so
dass lediglich beide Gruppen aus mindestens einem Stück bestehen
(aber nicht aus gleich vielen Stücken bestehen müssen) und so dass
man lediglich aus allen Stücken zumindest einer der beiden Gruppen
ein Rechteck aus Donauwellen-Stücken legen kann, dessen beide
Seiten nicht bloß aus einem Stück bestehen, dann muss, so forderte
es Waldemar, gelten, dass sich beide Gruppen zu je einem Rechteck
zusammenlegen lassen, wobei die Rechtecke eine gemeinsame (d.h.
gleich lange) Seite haben sollen, welche aber nicht bloß aus einem
Stück besteht.
Charlotte hatte einige
Tage vor dem großen Fest lange hin und her überlegt. Ihr Gatte
verlangte also eine aus möglichst vielen Stücken bestehende
Donauwelle, welche zudem dieser komplizierten Wenn-dann-Bedingung
genügen sollte. "Der Alte wird auch immer schrulliger", hatte sie
sich gedacht. Waldemar indes, ganz Misanthrop, freute sich ob
dieser neuerdings kunstvoll ersonnenen Schikane. Doch er hätte wohl
etwas länger über seinen Wunsch nachdenken sollen. Charlotte hatte
nämlich in der Nacht vor seinem Geburtstag tatsächlich die
größtmögliche Donauwelle gebacken, die seinen Anforderungen
entsprach, doch erwies diese sich schließlich als bei weitem nicht
groß genug, so dass der gestandene Zigarrenfabrikant von 60 Jahren
an seinem Wiegenfest vor der ganzen Verwandtschaft doch noch ein
klein wenig blamiert dastand. Aus wie vielen Stücken bestand sie
denn, die Donauwelle?
(C sei die Anzahl der Donauwellen-Stücke.)
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