Die Zwei
Abgewiesenen
„Um Gottes
willen“, seufzte ich, als ich Isabelle, aufgetakelt bis zum
Goldstaub auf ihren Augenlidern in meiner Eingangstüre stehen sah.
„Wir gehen aus, Chérie!!“ rief sie. „ Du musst mal raus hier. Ich
habe eine Einladung zu dieser unglaublich angesagten Vernissage in
der neuen Galerie ergattert“
Musste ich jetzt also auch meine Innenohren dekorieren, nur um
zwischen unzähligen selbstverliebten Kunstkennern ein Glas Bellini
durch die Gegend zu tragen und zwischen zwei Amuse Gueules zu
verhungern? Fast ohne mich eines vernichtenden Kommentars zu
würdigen, warf sie mir meine hochhackigen Sandaletten an den Kopf.
Na, wunderbar...und am Ende des Abends würde ich dann auch noch
Blasen auf den Fußnägeln haben.
Nach Kapitulation und entsprechender Bearbeitungszeit wackelte ich
also nun brav hinter Isabelle her, beschloss mich wenigstens
heroisch und noch viel stilvoller zu langweilen.
Es war
genauso, wie ich mir das vorgestellt hatte. Lauter beeindruckend
glattgebügelte Menschen standen verteilt in kleinen Träubchen vor
gigantischen Gemälden, die nach Pelikanfarbmalkasten und
Zehner-Borstenpinsel aussahen, kniffen die Augen zusammen und gaben
Laute der Erkenntnis von sich.
Ich
stapelte mir vier
ZiegenkäseanPinienhonigundRosmarin-GeeisteRotbarbeaufTraubenmoustard-HähnchenbetrunkenimDreiviertelTakt
und JodelnderKaviarinLavendelertränkt-Häppchen aufeinander, klemmte
das Proseccoglas zwischen Brust und Sandwichturm und tippelte
angedeutet asymmetrisch in die hintere Ecke des Raumes. Isabelle
schwebte währenddessen von Wange zu Wange und verteilte lächelnd
Luftküsse .
Als ich mich umdrehte , um meinen Hintern ganz elegant einen Meter
tiefer in die Verheißung eines Sitzmöbels sinken zu lassen,
erblickte ich direkt vor mir ein Landschaftsbild. Das sah nun gar
nicht nach dem Volkshochschulkurs „Wir malen mit verbundenen Augen
unsere Gefühle“ aus, sondern war in sehr lebhaften Farben
realitätsnah gehaltenes Werk, das mich auf magische Weise
anzog.
In meiner akut auftretenden Neugier vergaß ich das komplizierte
Konstrukt aus Nahrungsmitteln, das ich vor mir her balancierte und
machte einen Schritt direkt auf das neben dem Bild befindliche
Schild zu. Und fiel dabei gradewegs über meine hohen Absätze,
direkt in die Arme eines Unbekannten.
„Es freut
mich, ihre mitreißende Bekanntschaft zu machen“, sagte er, nachdem
ich ihn mit hochrotem Kopf und ein ewiges Mantra von
Entschuldigungen betend von der aktuellen Dekoration seines Hemdes
befreit hatte. Ein attraktiver Mittvierziger mit einer reizenden
Locke, die ihm ins Gesicht fiel. Sehr nett. Was ein Jammer, dass
ich diese Chance vertan hatte, bevor ich sie überhaupt
bekam.
"Dieses
Bild“ stammelte ich.
„Oh,
gefällt es Ihnen? Es ist ein Rätsel. Und wie mir ihre Freundin
hier, Isabelle war grade aus dem Nichts eingeschwebt, bereits im
Vorfeld versicherte, sind Sie doch Spezialistin für solcherlei
Dinge.“ Es klingelte in meinen Gehörgängen Amok. Deshalb hatte
dieses verschlagene Miststück von einer besten Freundin so gar
keine Gnade gezeigt, als ich wimmernd und flehend um Verschonung
bezüglich der Kunst bat und mich in eisenharten Griff
mitgeschleppt.
Das war ein raffiniert eingefädeltes Komplott. Weil sie genau
wusste, dass ich mit meiner unerträglichen Neugier niemals Nein
sagen würde.
Ich seufzte, fegte den Restes meines angeschlagenen Egos zusammen
und folgte ihm in die hinteren Räume der Galerie.
„Dieses Gemälde gehört zu einer Gruppe von Bildern, die ich vor
kurzem aus einem Nachlass erworben habe. In diesem fand sich neben
dem Landschaftsgemälde auch diese beiden Reproduktionen berühmter
Gemälde.
Wir
wissen, dass unser Landschaftsmaler die beiden Kollegen im Rahmen
einer seinerzeit sehr spektakulären Ausstellung getroffen hat . Im
Zusammenhang mit einer gemeinsamen Begegnung dieser drei Maler sind
damals Skizzenbücher von unschätzbarem Wert abhanden gekommen und
ich frage mich, on der Schlüssel dazu in diesem Bild und er uns ein
Versteck verrät. Denn dieser Zettel in chiffrierter Form ist mir
bei der Bearbeitung des Rahmens quasi entgegengefallen..
Sollten
Sie in der Lage sein, das Rätsel zu lösen und mir die Bücher zu
liefern, würde ich mich gerne großzügig erkenntlich zeigen. Denken
Sie darüber nach, Madame.“
Wortlos oder besser sprachlos, aber immerhin erhobenen Hauptes
drehte ich mich auf einem Drittel Reststilletto um . Und ging
einfach nach Hause, zog mir mein Kissen über den Kopf und zählte
verzweifelt Schäfchen. Die allerdings hatten alle eine Baskenmütze
auf dem Kopf und einen Pinsel in der Hand.
Am nächsten Morgen stand ich um neun auf der
Galeriematte. Erfreut öffnete er mich die Tür. Den Tag verbrachten
wir mit einer ausgiebigen Erörterung der Bilder im einzelnen und im
Besonderen und deren Schicksal, so wie das der Maler. Die Zeit
verging wie im Fluge und am Abend erwischte ich mich dann auch
dabei wie ich wissend augenkneifend vor den Gebilden stand, die ich
am Vortag noch als Pennälerkunst abgetan hatte.
Ich kam wieder, ich wälzte Lexika. Ich verglich, erkannte, dachte
nach und kombinierte.
Die Galerie wurde ein angenehmer Aufenthaltsort für meine freien
Abende und nicht selten saßen wir später noch mit dekorativen
Plastiktellern voll Sushi bewaffnet, zwischen Katalogen, Code und
Gemälden und erzählten uns ganz nebenbei aus unseren Leben.
Und dann fand ich eines Tages, als ich grade dabei war California
Rolls neben Lachsnigiris mit einem Biss zu vernichten und
gleichzeitig versuchte den Wasabi kunstvoll darüber zu hauchen, die
Lösung gedanklich zwischen einem Gurken- und einem Tunfischmaki.
Ich probierte es und es passte.
An diesem Nachmittag fuhr ich nicht in die Galerie sondern fand
die Landschaft auf dem Bild. Die angebene´Masseinheit
multiplizierte ich mit 0,9 meter und so fand ich auch das Versteck
in einer hohlen Weide zum Wasser hin. Und beschloss, dass es an der
Zeit für eine wahre Herausforderung war.
Ich
hinterliess einen Zettel an der Galerie:
Mein Lieber,
Die Lösung scheint gefunden. Der Brief ist durch
ein dreifaches Schloss gesichert.
Als Schlüssel dienen die beiden Reproduktionen und ihre gemeinsame
Geschichte. Durch die Entschlüsselung erhältst du die Beschreibung
des Weges.
Nimmst Du jetzt den heutigen Namen des Ortes, der damals zur
Begegnung führte , erhältst Du so auf die gleiche Art und Weise
auch den Ausgangspunkt:
tfrqijeyfvmrcnhoavtezxavnsggetnmmtfsgdrhedzwoviavsrpivmrcnrxc
Bis bald ?
Ich ging nach Hause, setzte mich vor meinen Kamin. Kraulte meinem
Kater den Bauch und wartete. Irgendwann schlief ich ein. Ich wurde
wach, weil es an der Tür klingelte:
ich öffnete die Tür und nun stand da ein sehr
verschwitzter, äußerst dreckiger und breit grinsender Mann mit
einer Locke, die ihm in die Stirn fiel, in der einen Hand eine
uralte, verschrammte Box, in der anderen eine Flasche
Champagner.