Spätestens Mitte der Tertiärzeit – vor etwa 30 Millionen Jahren – setzte die für den heutigen Bau der Landschaft entscheidende Gebirgsbildung ein und verdrängte die letzten Reste des Meeres. Unteres wurde nach oben gekehrt, Inneres nach außen, Hunderte von Metern dicke Schichten wurden gefaltet, verbogen und in die Vertikale gezwungen, ganze Gesteinsdecken traten „von den steigenden Scheiteln die gleitende Fahrt zu den Flanken und Rändern an. Dieser Akt im gewaltigen Drama der Erdkruste reichte bis ins Eiszeitalter hinein – 30 Millionen Jahre und mehr – und ist heute noch nicht beendet. Feinmessungen haben ergeben, dass sich z.B. der Wendelstein in 100 Jahren um einen Viertelmeter weiter nach Nordwesten geschoben hat.
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1 Zahmer Kaiser 2 Wilder Kaiser
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Fleischbank
Klettern im Wilden Kaiser - ein Traum
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Am Ende des Tertiärs hat das Kaisergebirge die Maße eines Hochgebirges erreicht, noch weniger ausgeformt als heute, aber von Geburt an schon angenagt von den Kräften der Atmosphäre. Das heißt, dass – wie überall in den Alpen – Wind, Frost und Wasser einiges von dem, was aufgerichtet wurde, wieder abtrugen, ebenfalls ein Ereignis, das bis heute nicht stillsteht. Man denke nur an die schottrigen Rinnen und Kare über der Baumgrenze, an die von Wald und Latschen bedeckten Schuttmäntel der tieferen Region oder z.B. an die Bergsturzlandschaft am Fuße der Schanzer Wände. Von den Störungen, die der Gewaltakt der Hebung und Faltung im Inneren des Gebirges bewirkt hat, zeugen unter anderem die Risse und Brüche und jene Gesteine, wie etwa der Hauptdolomit am Stadtberg und im Kaisertal.
Zur Entstehungsgeschichte des Gebirges liegen seit langem zwei voneinander abweichende Theorien vor; in jüngster Zeit ist eine dritte hinzugekommen. Alle haben aber den gleichen Hintergrund: die herausragende, insulare Stellung gegenüber dem Umland und die muldenförmige Gestalt mit den aufgebogenen Rändern des Wilden Kaisers im Süden und des Zahmen im Norden.
Der Münchner Geologe und Bergsteiger Kurt Leuchs sah (1907) den Grund für die scharfe Abgrenzung des Gebirges darin, dass an den Muldenrändern tiefgreifende Störungen auftraten, wie etwa der grabenförmige Einbruch des Inntales im Westen, der das Gebirge von seiner natürlichen Fortsetzung, dem Pendlingzug, trennte. Seiner Meinung nach handelt es sich um eine horstartig emporgehobene, in sich mehrfach gebrochene Scholle.
Der Tiroler Otto Ampferer unterschied zwei einander fremde Gebirgsteile: den Sockel aus Buntsandstein und jungen Triassteinen, der sich besonders an der Südflanke des Gebirges bemerkbar macht, und eine darauf liegende Gesteinsdecke älteren Materials (z.B. Muschelkalk und Wettersteinkalk), die sich als abgerissener Fetzen der Inntaldecke von Süden oder Südosten gleitend hierher verschoben hat. Das Gebirge ist also nicht die Fortsetzung des Pendlingzuges, der – wie der Thierberg auch – einer anderen Decke (Lechtaldecke) zugehört. Es endet im Westen unter dem Inntalschotter, aus dem zuletzt nur mehr die Kufsteiner „Hausberge“, Kalvarienberg, Festungsberg und Zellerberg, herausragen. Aufwölbung, Faltung und Hebung haben der zunächst nur mäßig gegliederten Decke ihr kontrastreiches Relief verliehen; Reste der alten Landoberfläche vermutet man im Plateau des Zahmen Kaisers und im sanft geneigten Wiesberg zwischen Scheffauer und Sonneck.
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Eine ganz neue, allerdings mit einem Fragezeichen versehene Theorie lieferte 1985 Ernst Ott vom Geologischen Institut der Technischen Universität München: das Kaisergebirge, ein aufgetürmtes Korallenriff. Der Hochkaiser, also Ampferers Kaisergebirgsdecke, wäre sonach der zentrale Riffbereich mit mächtigen Kalkbänken (Wettersteinkalk), die auf dem nach unten nachgebenden Lagunenboden abgelagert wurden. Sie fehlen im Sockel, weil dieser nur den Unterbau und den ausdünnenden Riffrand darstellt. Der ganze, primär schon schüsselförmige Komplex wurde während der Gebirgsbildung im Tertiär zusammengestaucht und nach oben herausgedrückt, wobei er sich an den Rändern von seiner Umrahmung löste.
Wie immer das Kaisergebirge entstanden sein mag, wie es auch am Ende des Tertiärs ausgesehen hat, den letzten Schliff, seine Feinmodellierung verdankt es den Einflüssen des Eiszeitalters.
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Das Ellmauer Tor im Wilden Kaiser
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